Das Beste aus Bordeaux und Kalifornien

Zu seiner spektakulären Probe hatte Weinfreund Robert Langer nach München in den Königshof eingeladen. In vier Flights stellte er Superstars aus Kalifornien und Bordeaux aus den Jahren 1975, 1985, 1995 und 2005 gegenüber, die von einer ebenfalls hochkarätig besetzten Runde verkostet wurden. Und wer war Sieger?

Meine ganz persönliche Antwort kommt zum Schluss dieses Berichtes. Aber eigentlich bedarf es keines Vergleichs der Weine aus Bordeaux und Kalifornien mehr, um herauszufinden, ob in Kalifornien gute Weine gemacht werden. Diese Frage wurde seinerzeit 1976 mit dem spektakulären Paris-Tasting mit einem klaren „Ja“ beantwortet. Die damalige Probe stellte ein Schweizer Weinfreund 2012 mit den damaligen Originalweinen noch einmal nach. Hier mein Bericht von damals.

Was wir hier in München auf dieser traumhaften, und vom Team des Königshofs mustergültig organisierten Probe erleben durften, zeigte hoch spannend die Entwicklung der Weine beider Gebiete auf. Jeweils drei Weine aus Kalifornien und Bordeaux standen sich gegenüber. Dazu hatte Robert Langer aus dem jeweiligen Jahr immer einen extrem hochkarätigen Piraten gestellt, der weder aus Frankreich noch den USA stammte. Verkostet haben wir die Weine halbblind. Wir wussten stets, dass auf einer Seite die Kalifornier und auf der anderen die Bordeaux standen, aber nicht auf welcher. Die Weine kannten wir, wussten aber nicht, in welchem Glas sie waren. Der Pirat stand jeweils in der Mitte.

Sommelier Stéphane Thuriot hatte alles im Griff

Los ging es mit 1975. Was da Kalifornien war und was Bordeaux, war ziemlich schnell zu erkennen. Kein Wein hat soviel Eukalyptus und Minze und so eine prägnante Nase wie dieser 1975 Heitz Martha´s Vineyard. Enorme Kraft, immer noch so jung, Teer, Lakritz, aber auch eine leicht unsaubere Note, die die Bewertung verdarb – WT96. 1975 war der erste Martha´s Jahrgang, für den der heutige Harlan Boss Don Weaver als Winemaker verantwortlich war. Für mich ist dieser Wein aus perfekten Flaschen (davon hatte ich in diesem Jahr schon 2) mindestens ebenbürtig, wenn nicht sogar größer als der 74er. Immer noch jung wirkte auch der 1975 Eisele Vineyard von Phelps mit traumhafter Frucht, Cassis pur, schöner Minzfrische, am Gaumen dicht, rund, süß und irre lang – WT98. Verantwortlich für die großen Phelps-Weine der damaligen Zeit war als Winemaker der aus Assmannshausen stammende Walter Schug. Einzig der 1975 Ridge Monte Bello war deutlich über den Punkt und erzählte eher von vergangenen Tagen. Leichte Überreife in der Nase und am Gaumen, viel Soja, schöne Fülle, aber kurzer Abgang – WT90.

Schon ziemlich alt mit viel Liebstöckel wirkte der 1975 Petrus, sicher keine gute Flasche – WT90. Ich hatte den Petrus gerade erst zwei Wochen vorher auf einer Paulson-Probe aus der Magnum in Perfektion erlebt. Ein Tier von einem Wein der immer noch so junge 1975 La Mission Haut Brion, zupackend und fordernd am Gaumen, immer noch geprägt von deutlichen Tanninen, aber einfach faszinierend. Mit Minze und Eukalyptus war er einem großen Heitz nicht unähnlich – WT99. Erstaunlich rund und gefällig wirkte trotz aller Kraft der 1975 Latour. Hier hat das Warten gelohnt, da wird jetzt richtig was draus – WT95.

Schnell einig waren wir uns beim Piraten. Das konnte nur 1975 Penfolds Grange sein, der sich hier in Bestform zeigte, frisch, exotisch mit wunderbarer Frucht, pfeffrig mit guter Struktur, enormer Kraft, feiner Extraktsüße am Gaumen, sehr lang im Abgang – WT97.

Die Tagesform entschied diesen Flight. Mit einem besseren Petrus wäre es zumindest auf ein Unentschieden hinausgelaufen. So lag Kalifornien vorne.

Und schon wieder war es er Heitz, der beim 1985er Flight deutlich zeigte, wo die Kalifornier standen. 1985 Heitz Martha´s Vineyard hatte wieder diesen fürchterlichen Geruch vier Wochen lang getragener Wandersocken. Dabei hatte dieser immer noch tiefdunkle Wein genügend Klasse und Substanz für einen weiteren, legendären Martha´s. Nicht umsonst hatte Heitz diesem Wein wie zuvor erst einmal dem 74er das berühmte Jubiläumsetikett (hat seitdem nur noch der 2007er bekommen) spendiert. Besser wäre stattdessen in neue Fässer investiert worden. Aber der Altersgeiz von Joe Heitz verhinderte das, und so besaßen alle Martha´s der ersten Hälfte der 80er Jahre diesen üblen, durchaus an Kork erinnernden Ton. Was sonst aus diesem Wein hätte werden können, zeigte sich mit intensiver Belüftung. Da schimmerte immer mehr ein gewaltiges, jugendliches Konzentrat mit dunklen Beerenfrüchten, viel Minze, Eukalytus, Jod und hoher Mineralität durch. Damit stieg dann auch meine Bewertung auf zuletzt WT94+. Seltsamerweise gibt es auch durchaus bessere Flaschen dieses Weines, von denen ich schon einige trinken durfte. So war erschien dieser 85er 2011 auf der großen Heitz-Probe der Ungers wie eine Wiedergeburt des 74ers (WT98). Sehr fein, elegant und minzig mit etwas Schokolade der sehr Bordeaux-ähnliche 1985 Phelps Insignia – WT95. Ein geradezu irrer Wein – seiner Zeit gut 10 Jahre voraus – der 1985 Groth Reserve mit einer unglaublichen, explosiven Frucht und Aromatik, der wie ein moderner Kalifornier aus der zweiten Hälfte der 90er wirkte – WT97.

Für den immer enttäuschenden 1985 Petrus konnte ich mich nie richtig erwärmen. Auf seine „alten Tage“ scheint der Petrus aber noch halbwegs die Kurve zu kriegen. Als sehr feiner, aromatischer, süßer Wein mit verführerischem Schmelz zeigte er sich hier – WT95. Noch eine Ecke drüber der immer noch junge, aber schon recht zugänglich wirkende 1985 Haut Brion. Sehr elegant, finessig mit schmeichlerischer, rotbeeriger Frucht, sehr mineralisch mit Cigabox, ein gut (an)gereifter, richtiggehender Schmuse-Haut Brion, der noch eine gute Zukunft haben dürfte – WT96. Der lange Jahre so enttäuschende, schmalbrüstig erscheinende 1985 Latour hat ebenfalls deutlich zugelegt. Das ist jetzt ein druckvoller, kräftiger Latour mit wunderbarer, süßer Frucht und der klassischen Latour-Walnussaromatik. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dieser Latour weiter zulegt und noch eine längere Zukunft hat – WT95+.

Damit bringt der Geiz von Heitz in diesem Jahrgang 1985 Bordeaux knapp nach vorne.

Auch diesmal waren wir uns beim Piraten schnell einig. Der Wein, der diesen Flight so beeindruckend dominierte, konnte nur die Legende 1985 Sassicaia sein. Pekka Nuikki aus Finnland klärte uns darüber auf, warum im großen Toskana-Jahrgang 1985 der noch größere 1985 Sassicaia entstand. Der Incisa interessierte sich seinerzeit mehr für Pferde als für Wein. Und da bei den Pferden bedeutende Ereignisse anstanden, wurde schlichtweg der Erntezeitpunkt verschlafen. So wurde der 1985 Sassicaia zu spät und damit genau zum richtigen Zeitpunkt gelesen. Lange Zeit hatte sich dieser in seiner Jugend schlichtweg außerirdische Sassicaia verabschiedet. Doch seit 2013, wo er in einer kleinen Probe seine überraschende Wiederauferstehung feierte, ist er wieder voll da. Immer noch mit dieser geradezu irren Farbe, nicht mehr ganz so explosiv wie früher, dafür einfach stimmig und sehr nachhaltig. Wunderbare Frucht mit etwas Bitterschokolade und Schwarzen Trüffeln, Minze, sehr mineralisch mit perfekter Struktur und ewiger Länge, einer der Weine des Abends und trotz seines exorbitant hohen Preises jede Suche wert – WT100.

Damit waren wir beim Jahrgang 1995, der sowohl in Kalifornien als auch in Bordeaux ausgesprochen gut gelungen war.

In geänderter Besetzung traten die Kalifornier an. Zum Insignia gesellten sich die neuen Superstars Harlan und Screaming Eagle. Noch nie so gut im Glas hatte ich den inzwischen sicher gut 20mal getrunkenen 1995 Phelps Insignia. Das war nicht mehr der feine Insignia der 80er. Kalifornien hatte sich gewandelt. „Thick, rich and creamy“ wie bei Häagen Dazs Eiscreme schien immer mehr das Motto. So war denn auch dieser Insignia ein gewaltiges Konzentrat mit Kraft und Struktur, aber eben auch mit dekadenter, süßer Frucht und üppiger Fülle, blieb dabei aber immer noch erstaunlich elegant und wirkte nicht überladen – WT98. Schlichtweg perfekt der so jugendliche frische 1995 Harlan, der als eine Quadratur des Kreises einen jungen und doch reifen Latour mit kalifornischer Frucht darstellte. Ein Wein, bei dem jedes Glas zu klein ist – WT100. Erstaunlich fein mit betörender Frucht trotz aller üppiger Fülle der 1995 Screaming Eagle – WT97.

Klar, da wurden die armen Bordeaux im direkten Vergleich schier erdrückt. Dabei war 1995 in Bordeaux ein wunderbarer Jahrgang mit herrlich fruchtigen, saftigen, jetzt perfekt zu trinkenden Weinen. Aber der 1995 Petrus war eben kein Hammer, sondern zeigte sich eher etwas zurückhalten mit nobler Eleganz, schlank in der Anmutung und mit durchaus burgundischen Konturen, sehr stimmig und ausgewogen, aber ohne den „Wow“-Faktor, den man bei dieser Preisklasse und einem Ruf wie Donnerhall automatisch im Glas erwartet – WT95. In dieser Liga wäre sicher auch der immer noch sehr jung wirkende 1995 Haut Brion gewesen, der aber in diesem Flight seine Teamkameraden (und uns) mit einem üblen Kork im Stich ließ. Etwas verschlossen zeigte sich immer noch der 1995 Latour, der aber mit präziser Frucht und großartiger Struktur trotz der immer noch mächtigen Tannine schon einen guten Ausblick auf das gibt, was da in 10+ Jahren mal draus entstehen wird – WT96+.

Klarer Sieg in 1995 also für das Team Kalifornien.

Waren es die großen Kalifornier, die diesem ultrararen, großartigen 1995 Pingus auf höchstem Niveau die Show stahlen? Traumstoff war das, erinnerte an frühere, glorreiche Zeiten. Kräftig und elegant zugleich, sehr mineralisch mit verschwenderischer, betörender Frucht, großartige Länge – WT98.

In Bordeaux war 2005 ein sehr gutes Jahr mit kräftigen, tanninreichen Weinen, die altern können und müssen.

Zumindest waren die Kalifornier hier eigentlich im Vorteil. Nicht nur, weil sie sich meist offener präsentieren. 2005 war in Kalifornien auch ein etwas kühleres Jahr, was eigentlich elegantere, schlankere Weine ermöglichte. So zeigte der 2005 Phelps Insignia bei allem süßem Schmelz eine erstaunliche Frische und einen feinen Minzton – WT96. 2005 Harlan war ein moderner Zwilling des genialen 95ers, sehr mineralisch, frisch mit präziser Frucht und perfekter Struktur, dabei erstaunlich fein – WT98. Dichter, üppiger, dramatischer zeigte sich der 2005 Screaming Eagle – WT97.

War der 2005 Petrus der Wein des Abends? Unglaublich, mit welcher Frische und Eleganz dieses konzentrierte Mörderteil daher kam. Da entsteht eine Legende, die etliche Jahrzehnte brillieren wird. Haben muss man diesen inzwischen aberwitzig teuren Wein natürlich und sich leisten können. Oder man findet, so wie wir, einen generösen, spendablen Gastgeber. Neal Martin hat das auf der Parker-Website sehr schön formuliert: „The Petrus 2005 might not be the cheapest wine that has ever been made, but if somebody else is paying it will blow you away.“ Wir waren eingeladen und „blown away“. Danke, lieber Robert. Diesen Petrus kann man auch schon im jetzigen Stadium nur mit WT100 bewerten. Deutlich kompakter und verschlossener zeigte sich 2005 Haut Brion, dessen gewaltige Substanz aber auf eine große Zukunft hoffen lässt – WT95+. Schlichtweg rappelzu der gewaltige, sehr mineralische 2005 Latour, dessen perfekte Struktur und Substanz einen großen Wein ankündigen, auf den aber noch länger gewartet werden muss – WT95+. Derzeit sind sowohl bei Haut Brion als auch bei Latour viel Phantasie und Geduld gefragt.

Damit geht dieser Flight vom derzeitigen Genuss her an Kalifornien. In 10 Jahren dürfte das anders aussehen.

Der Pirat in diesem Flight war die Top-Cuvée 2005 Nicolas Catena Zapata von der Bodega Catena Zapata aus Argentinien. Ein üppiger, moderner, etwas konstruiert wirkender Wein mit saftiger Frucht – WT94.

In 3 von vier Flights lag das „Team Kalifornien“ vorne und ist damit klarer Sieger. Aber sind die kalifornischen Weine damit automatisch besser als Bordeaux? Von besser würde ich nicht unbedingt sprechen. Sie sind sicher ebenbürtig, und die kalifornische Sonne ermöglicht gleichmäßigere, hochwertige Jahrgänge als in Bordeaux. Besser ist aber nicht nur eine Frage von Punkten, sondern auch eine Frage der bevorzugten Stilistik. Und das muss jeder für sich entscheiden.

In jedem Fall war das eine spannende, extrem hochwertige Probe. Nicht zu vergessen Apero und Abschluss.

Begrüßt wurden wir mit einem durchaus spannenden Duo aus 1975 Dom Perignon und 1985 Dom Perignon, die sich beide stilistisch sehr ähnlich waren. Der 85er als die deutlich jüngere Variante lag für mich dabei vorn, WT95 gegenüber WT93).

Abschluss der Probe waren drei Yquems. Groß war der 1975 d´Yquem, bei dem manche einen leichten Fehler vermuteten. Ich fand ihn ziemlich perfekt und genial zu trinken. Einziger Fehler war das Glas. Hätte ich gerne größer mit viel mehr drin gehabt. Sehr stimmig, dieser Nektar und mit erstaunlich guter Säure sehr balanciert. Könnte sich mal unter die ganz großen Yquems des letzten Jahrhunderts einreihen – WT98+. Gut entwickelt hat sich auch 1985 d´Yquem, der sich hier jünger, süßer und konzentrierter zeigte als ich ihn kenne mit feiner Kräuter-/Honignote – WT93+. Da kommt sich noch mehr. Aus einer nicht gerade perfekten Flasche bekamen wir dann noch 1945 d´Yquem ins Glas. Der war mit trüber, dunkler Farbe nur ein Schatten seiner selbst, süß und konzentriert, aber auch mit deutlich oxidativen Noten – WT90.