Ein Jahrhundertwein von Gantenbein?

Wie entstehen eigentlich Jahrhundertweine? Für große Weine braucht es reife Trauben eines großen Terroirs und dazu einen entsprechend talentierten Winzer, der das, was die Natur da geliefert hat, in seinem Keller zu großem Wein werden lässt. So weit, so gut. Das können die Gantenbeins und beweisen es Jahr fürs Jahr aufs Neue.

Aber Jahrhundertweine wie z.B. der legendäre 1945 Mouton Rothschild? Da kommt dann manchmal ein nicht planbarer Betriebsunfall der Natur dazu. 1945 waren es die späten Mai-Fröste, die zu einer natürlichen Erntemengen-Begrenzung führten und in der Nachfolge durch einen heißen Sommer zu unglaublich konzentrierten, langlebigen Weinen.

Und genau so einen Betriebsunfall der Natur erlebte die Bündner Herrschaft 2013. Ausgerechnet während der Blüte kam es zu einem drastischen Temperatursturz und zu einer Verrieselung der Blüte. Da half auch gutes Wetter nicht mehr. Was nicht geblüht hat und nicht befruchtet wurde, kann sich nicht mehr zu Beeren entwickeln. Nur ein Drittel einer normalen Rotweinernte brachten die Gantenbeins im Herbst 2013 ein, bei den Weißen sogar nur ein Fünftel. Aber was sie da ernteten, das hatte es in sich. Die Reben hatten all ihre Kraft in die wenigen, sehr kleinen, aber reifen und konzentrierten Beeren gepackt.

Ich hatte an Christi Himmelfahrt die Gelegenheit, in ganz kleinem Kreise auf dem Gut zusammen mit Martha und Daniel Gantenbein die neuen, bereits gefüllten 2013er im direkten Vergleich mit den drei Vorgängerjahren zu verkosten. Der René Gabriel war mit dabei, sein Super Sommelier Patrick Bopp und mein Freund Thomas. Verkosten hieß in meinem Falle nicht nippen, schlürfen, spucken. Dank meines Edelchauffeurs konnte ich alle Weine richtig verkosten, nicht einmal oder zweimal sondern mehrfach. Und Abgang war nicht der Weg vom Gaumen zum Spucknapf. Wer solch großartige Weine wie die Gantenbeins spuckt, dem ist eh nicht mehr zu helfen.

Als ersten Weißen bekamen wir den 2013 Gantenbein Riesling. Der wird seit 2013 nicht mehr restsüß ausgebaut, sondern trocken. Das Vorbild der Gantenbeins sind dabei die Großen Gewächse aus Deutschland, insbesondere die von Dönnhoff. Und hinter diesen Vorbildern muss sich dieser knackig frische, mineralische Riesling mit seiner feinen Frucht und der kräftigen, aber reifen Säure nicht verstecken – WT93. Würde ich sofort kaufen, wenn es ihn denn gäbe.

Der 2010 Gantenbein Chardonnay ist für mich bei den Gantenbein Chardonnays immer noch das Maß aller Dinge. Rassig, würzig, mineralisch mit guter Säure und feinem Schmelz, schlank im positiven Sinne, klassischer, burgundischer Stil, der erste, hochklassige „Meursault“ aus dem Hause Gantenbein – WT96. Der 2011 Gantenbein Chardonnay aus einem wärmeren Jahr wirkt etwas reifer und fülliger als der 10er, aber so hoch aromatisch und komplex mit feiner Extraktsüße, Suchtstoff pur – WT95. Gut 10mal hatte ich den schon im Glas, aber erst jetzt fängt er an, seine wahre Klasse zu zeigen. Und das ist wichtig bei den Gantenbein Chardonnays: liegen lassen, wer an sich halten kann. In den ersten Jahren sind diese Weine oft geprägt von Babyspeck und zeigen längst noch nicht alles, 3-4 Jahre Lagerung tun ihnen sehr gut. Die Weine werden filigraner, ausdrucksstärker und präziser in der Struktur. Das gilt auch für den 2012 Gantenbein Chardonnay, der sich noch etwas verschlossen zeigte, aber gewaltiges Potential besitzt, mehr Biss als 11, stilistisch näher an 10, heute WT93+, in 2 Jahren locker WT95. Etwas reduktiv wirkte der 2013 Gantenbein Chardonnay mit Stachelbeere und Limette in der Nase. Eine noch ziemlich verschlossene Fruchtbombe mit gewaltigem Druck am Gaumen, die ihren großen Auftritt erst in 4-5 Jahren haben dürfte. Auch für diesen Wein sind in ein paar Jahren locker WT95 drin, vielleicht auch mehr.

Und damit waren wir bei den Pinots. Finesse pur der 2010 Gantenbein Pinot Noir, betörende, feine rotbeerige Frucht, reife Himbeere, süßer Schmelz, so feingliedrig mit seidiger Eleganz, burgundisch im besten Sinne, blieb ewig am Gaumen – WT95. Voll trinkbar, was ich schon oft und reichlich getan habe. Mehr Biss als der 10er hat der derzeit etwas schlanker, mineralischer wirkende 2011 Gantenbein Pinot Noir, der sich aber hier wie auch ein paar Wochen vorher zuhause als uncharmanter Klotz präsentierte. Gehört noch eine Weile weggelegt oder aber in 2000m Höhe getrunken. Schier aus dem Häuschen war ich letzte Weihnachten, als ich mir zum festlichen Weihnachtsmenü den 11er im Walther in Pontresina gönnte. Die Höhe lässt Tannine weicher und junge Weine zugänglicher erscheinen. Da war ich locker bei WT97 und konnte Max Gerstls euphorische 20/20 ohne weiteres nachvollziehen. Und während man auf 11 wartet, darf man getrost schon über den 2012 Gantenbein Pinot Noir herfallen. Der zeigt sich in erster (Früh)reife so fein, so gefällig, so hoch aromatisch mit feiner Frucht, derzeit ein unwiderstehlicher Schmuse-Ganti. Aber von der Struktur her ist er nicht weit vom 11er weg. Da könnte also noch deutlich mehr kommen – WT95+. Und dann kam dieser schier unglaubliche 2013 Gantenbein Pinot Noir ins Glas. Was war das denn für ein verrücktes Teil? Sehr tiefe Farbe, eine geradezu irre Nase, die völlig aus der Art schlägt und in der ersten Wahrnehmung nichts mit Pinot Noir zu tun hat. Da sind konzentrierte, süße, reife Beerenfrucht, aber auch Tabak, Ledersattel und sogar Anklänge von Marzipan. Das war geradezu eine Art SassiGanti, die an den jungen 85er Sassicaia erinnerte. Auch am Gaumen unbändige Kraft und Konzentration, aber verbunden mit unglaublicher Eleganz, Finesse und Leichtigkeit, eigentlich eine Quadratur des Kreises. Am Gaumen kam mit der Zeit immer mehr Pinot Noir zum Vorschein, aber in einer einmaligen, druckvollen Art mit massiven, aber reifen Tanninen. Diesen Wein hier probieren zu dürfen, quasi in der Geburtsstunde einer Legende, das war ein einmaliges Erlebnis. Immer wieder führte mich der Weg zu dieser Flasche zurück, die irgendwann leer war. Aber Daniel Gantenbein hatte schon mit einer weiteren, halben Flasche für Ersatz gesorgt. Vielleicht gefiel ihm mein überaus glückliches, zufriedenes Grinsen so gut. Dieser Wein, da bin ich mir ziemlich sicher, wird Geschichte schreiben. Aber er wird sich auch schnell wieder verschließen und dann viel Geduld verlangen – WT97+. Das „+“ steht für 1-vielleicht sogar 3 weitere Punkte, die da im Stadium der Reife hinzu kommen könnten.

Und wann trinkt Mann/Frau jetzt ein solches Monument? Angenommen, Sie konnten drei dieser ultrararen Flaschen ergattern. Dann würde ich eine davon sofort trinken. Gönnen Sie dem Wein 2-3 Stunden in einer Karaffe. Danach ab ins Gabriel-Glas oder auch einen großvolumigen Burgunderpokal und in kleinen Schlucken gut verteilt über Stunden genießen. Die zweite Flasche würde ich dann mindestens 5 Jahre liegen lassen. Und die Dritte noch mal 5-10 Jahre später, oder sie gleich vererben.

Keine Rose ohne Dornen. Bei diesem Wein sind die Dornen die Schwierigkeit, den Wein überhaupt zu finden und natürlich der Preis. Gerade für deutsche Kunden ist der Preis durch die Aufwertung des Franken geradezu explodiert. Und das, obwohl die Gantenbeins trotz des Ernte- und Umsatzverlustes von 2/3 ihren Abgabepreises nicht erhöht haben. Das ehrt dieses so sympathische Winzerpaar.

Und noch eine große Überraschung hatte Daniel Gantenbein für uns. Wir fahren ja auf dem Wege zur großen 95*1995 Verkostung. Und der erste 95er sollte jetzt hier ins Glas kommen, ein 1995 Fläscher Blauburgunder. Der erste, unfiltrierte Wein des Gutes, ausgebaut in 100% neuem Holz. Reif, aber wunderbar zu trinken. Schoggi und Kaffeenoten, Ovolmatine pur in der Nase, aber auch noch schöne Frucht, am Gaumen noch erstaunlich frisch wirkend, eher schlank und sehr elegant – WT92.

Und wie kommt man jetzt an Gantenbein-Weine? Schwierig. Die sicherste Methode ist die Gastronomie, in der man gerade in der Schweiz oft noch gereifte Gantenbeins findet. Auf dem Gut selbst wird man nicht fündig. Es gibt keinen ab Hof Verkauf und eigentlich auch keine Möglichkeit, das Gut zu besuchen. Eine Ausnahme und jede Reise wert sind die meist schon sehr lange ausgebuchten Wine and Dines, wie sie z.B. René Gabriel jedes Jahr auf dem Gut veranstaltet.

Die Gantenbein Weine altern gut. Als bekennender Gantenbein-Freak habe ich in den Jahrgangsübersichten zahllose Notizen zu den Gantenbein Weinen. Und dieser Link führt Sie noch zu einer großen Gantenbein-Vertikale in 2009, die sehr beeindruckend die konsequente Weiterentwicklung dieses Gutes zeigte.