1961er Legendenprobe

1961 gilt für Bordeaux als legendärer Jahrhundertjahrgang. Und ich durfte jetzt an einer ebenfalls legendären Probe zu diesem Thema mit alleine insgesamt 11(!) mal absolut perfekten WT100 Weinen teilnehmen. Danke Robert!

Irgendwie scheint die Natur immer auf Ausgleich bedacht zu sein. 1928 und 1929 schenkte sie den Winzern mitten in der Weltwirtschaftskrise zwei überragende Jahrgänge. 1945 kam direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein weiterer Traumjahrgang. 1961 war es dann wieder soweit. Die Winzer im Bordelais waren durch die massiven 1956er Fröste stark gebeutelt worden. Viele Rebanlagen mussten neu bepflanzt werden. Andere erholten sich nur mühsam. Aber wie macht man unter diesen Voraussetzungen großen Wein? Auch darauf hatte Mutter Natur eine perfekte Antwort. Schlechtes Wetter während der Blüte führte zu Verrieselung und dadurch zu einer drastischen Verringerung der potentiellen Erntemenge. Perfektes Wetter danach bis zur Lese sorgte dafür, dass die verbliebenen Trauben perfekt ausreiften. Das Lesegut war von dermaßen hoher Qualität, dass, wie es mein Freund Jan Paulson so schön formulierte, selbst der dümmste Winzer nicht umhin kam, sehr guten Wein zu produzieren. So entstand mit 1961 in Bordeaux ein legendärer Jahrgang, kleine Ernte, überragende Qualität mit reifen Tanninen, schon früh trinkbar, aber mit besten Anlagen für lange Alterung. Nur haben bzw. finden muss man diese raren Weine halt, die sich gerade bei den großen Namen in Fälscherkreisen hoher Beliebtheit erfreuen.

Mein Weinfreund Robert Langer hatte 15 Jahre lang auf diese schlichtweg spektakuläre Probe hin gesammelt. In kleinem, illustrem Kreis verwöhnte er uns im traumhaften Ambiente des Königshofs in München mit dem Besten, was 1961 zu bieten hat. Selbst aus Brasilien war einer der Teilnehmer nur für diese Probe angereist. Wie sich zeigen sollte, war das eine sehr kluge Entscheidung.

Spektakulär schon der Apero. 1961 Dom Perignon war aus der ersten Flasche ein perfekter Stillwein. Güldene, klare Farbe, kein Mousseux mehr, sehr karamellig, Toffee, Brioche, am Gaumen großartige Länge – WT96. Der liebe Robert ließ noch eine weitere Flasche dieses Elixiers öffnen. Aus der zeigte sich der Dom Perignon deutlich frischer mit immer noch als leichtem Prickeln spürbarem Mousseux am Gaumen – WT97. Serviert wurde dieser Dom Perignon übrigens auch 1981 bei der Hochzeit von Prince Charles und Lady Diana Spencer.

In Viererflights starteten wir danach in die großartige Welt von 1961 Bordeaux. Zu jedem Flight hatte Robert einen Piraten gestellt, der aus den 60ern, aber nicht unbedingt aus 1961 stammte. Kann so eine Probe besser starten, als mit einer perfekten Flasche 1961 Ducru Beaucaillou? Der zeigte sich von seiner besten Seite. Wunderbare, reife, schöne Kaffeenase, einfach zum Reinsetzen. Wenn Nespresso dieses Aroma hin bekäme, würde ich morgens nicht anderes mehr trinken. Am Gaumen feiner Schmelz, generöse Süße und burgundische Eleganz. Reif war dieser Ducru, aber alles andere als alt. In dieser Form jede Suche wert – WT97. Einen immer stärker werdenden Fehlton hatte leider der 1961 Gruaud Larose. Sehr schade, denn dieser Wein kann es im Bestzustand mit jedem Premier Grand Cru aufnehmen. Zuletzt hatten wir den Gruaud 2015 als perfekten WT100 Wein in unserer Magnum Best Bottle. Auch Gruaud gehört deshalb zu den unbedingten Kauf- und Suchempfehlungen. Überraschend schön präsentierte sich 1961 Leoville Poyferré, den ich noch nie so gut im Glas hatte. Pikante, rotbeerige Frucht, Minze, Zedernholz und Tabak, absolut stimmig und balanciert – WT95. Immer noch so jung und vital zeigte sich der 1961 Cos d´Estournel, der mit immer noch guter Frucht, durchaus noch vorhandenen Tanninen und guter Säure deutlich frischer wirkte, als ein paar Wochen vorher beim Paulson-Wochenende in Hattenheim und auch als die halbe Flasche, mit der wir uns beim Lunch „aviniert“ hatten – WT95. Eine große Überraschung und ein balancierter Traum war der 1961 Charles Krug Cabernet Sauvignon aus dem Napa Valley. Sehr minzig, kräuterig und mit einem Hauch Eukalyptus, ein großer Old School Kalifornier, dem es nur am Gaumen etwas an Dichte fehlte – WT96. Charles Krug, das älteste, noch existierende, amerikanische Weingut, wurde 1861 von Charles Krug, einem preußischen Einwanderer, gegründet. 1943 wurde das Gut von Cesare Mondavi, dem Vater von Robert und Peter Mondavi gekauft. Robert Mondavi verließ später das Gut im Streit, als sein jüngerer Bruder Peter das Gut erbte und gründete 1966 sein eigenes Weingut Robert Mondavi. Diesen 1961er hier müssten die beiden Mondavi-Brüder noch gemeinsam gemacht haben. Das war wirklich Drinking Wine History vom Feinsten.

1961 Cheval Blanc in einer Händlerabfüllung hatte dieses unvergleichliche Cheval Blanc Parfüm in der Nase, am Gaumen samtige Eleganz, aber nicht ganz die Dichte der Chateauabfüllung – WT95. Die Inhaberfamilie Fourcaud-Laussac arbeitete damals immer noch auch als Negociant und verkaufte Cheval Blanc auch fassweise an Händler, behielt aber immer klugerweise die besten Fässer für die Chateauabfüllung zurück. Ein Lotteriespiel ist stets 1961 Figeac, bei dem von ätzend mit diesem korkähnlichen Muffton bis groß alles vorkommen kann. Steht leider nicht auf der Flasche drauf. In diesem Fall hier war es ein Lotteriegewinn. Sehr dichte, immer noch recht junge Farbe, rotbeerige und dunkle Früchte, Leder, etwas Lakritz, ein kerniger, etwas strenger Wein, sehr kräftig mit großartiger Länge und in dieser Form noch viel Zukunft – WT95. 1961 Pavie war ein sehr feiner Wein, balanciert und stimmig, der mit den heutigen Boliden überhaupt nichts zu tun hat – WT93. Herausragend 1961 Ausone aus einer 1994 auf dem Chateau neu verkorkten Flasche. Superjung die Farbe, jung die Anmutung des Weines mit der klassischen, maskulinen Kräutermischung mit etwas Lakritz und Tabak dieses Pauillac aus St. Emilion. Enormer Druck am Gaumen und langer Abgang. Im Frühjahr war das schon ein grandioser Wein bei unserer Verkostung von 50*Ausone auf dem Chateau, aber diese Flasche setzte noch mal eins drauf – WT99. In großes Erstaunen versetzte mich der Pirat. Der war noch so jung, so dicht und druckvoll mit einfach geiler, süßer Frucht Cassis ohne Ende, und das auch noch kandiert. Einfach tolles, dekadent leckeres Zeugs, bei dem ich nie und nimmer auf 1962 Vega Sicilia Unico gekommen wäre. Hatte mit denen bis vor 8 Jahren getrunkenen Flaschen nichts gemein und war einfach genial – WT97. Da werde ich jetzt mal wieder nach suchen.

Pessac von der ganz feinen, eleganten Art war der 1961 Pape Clement. Der hatte zwar die leicht teerige Mineralität von Pessac, den Tabak und auch etwas Lakritz, aber alles sehr vorsichtig und fein dosiert, ein sehr eleganter, gefälliger Schmeichler – WT95. Bei 1961 Lynch Bages spürte man die enorme Substanz dieses noch recht jung wirkenden Weines, aber da war auch etwas schwieriges, leicht scharfes, vor allem in der Nase. Der Lynch Bages sang einfach nicht und machte keinen Spaß. Ohne Fehler wäre das ein großer Wein gewesen. Dafür war die 1961 Pichon Comtesse de Lalande aus der Magnum so, wie man sich diesen Wein vorstellt, einfach ein göttlicher Charmeur. So generös und schmelzig in der Nase und am Gaumen mit dezenter Süße. Natürlich waren da auch leicht animalische und ledrige Noten. Aber selbst bei denen handelte es sich eher um eine junge Stute mit kaum gerittenem Damensattel – WT96. Kernig, rustikal und burschikos mit viel Kraft und Substanz der 1961 Pontet Canet in der Cruze Abfüllung, ein schöner Saufwein, der mit der heutigen Qualität von Pontet Canet nichts zu tun hat – WT91. Nein, der sonst so hoch gelobte 1961 Barolo Riserva Monfortino von Giacomo Conterno konnte mit dem, was wir hier vor uns hatten, nichts zu tun haben. Diese grenzwertige Mischung aus Maggi, Bratensoße und verbranntem Gummi konnte nicht für meine Nase und meinen Gaumen gedacht gewesen sein und war sicher nicht typisch.

Ohne Piraten kam jetzt ein Flight mit allen 5 Premier Crus. Einfach sexy dieser großartige, komplette 1961 Mouton Rothschild. Der zeigte mit absoluter Frische alles, was man von einem perfekten Mouton erwartet. Superbe, süße Cassisfrucht, Minze, einen Hauch Eukalyptus, Bleistift, Sattelleder, wirkte immer noch leicht röstig, dabei so kraftvoll und lang. Nach etlichen WT99 Flaschen waren jetzt hier endlich mal die WT100 fällig. Sehr elegant und finessig, dabei vornehm aristokratisch zurückhaltend zeigte sich 1961 Lafite Rothschild aus der Magnum, feine Mineralität, erste Süße am Gaumen, ein nobler Klassiker – WT96. Nicht klar kam ich mit dem, was 1961 Latour sein sollte. Die mit Abstand dichteste, jüngste Farbe des Flights, schlankl und kompakt, öffnete sich nur zögerlich mit deutlichem Tanningerüst und war wohl 20 Jahre jünger. Aber was für ein fantastischer Auftritt im Nachbarglas mit diesem riesengroßen, schlicht und einfach perfekten 1961 Haut Brion, sehr mineralisch, Tabak, Cigabox, ein Hauch von Trüffeln, das war einfach großer, perfekter Haut Brion live. Noch so jung und frisch wirkend mit intaktem Tanningerüst und guter Säure, ewig lang am Gaumen und sicher mit noch sehr langer Zukunft – WT100. Bei Haut Brion hatte ich diese Perfektion erhofft und auch erwartet, nicht aber bei 1961 Margaux. Der war schlicht und einfach perfekt, die beste Flasche, die ich von diesem wein je hatte. So unendlich elegant und perfekt balanciert, die Eisenfaust diesmal gleich mit drei Samthandschuhen überzogen – WT100.

Der Himmel war dann voller Geigen beim 1961 l´Evangile, der sich endlich reif und in absolut bestechender Form zeigte mit herrlichem Schmelz ohne Ende. Das war Pomerol zum Verlieben und Träumen – WT100. Völlig anders der eher etwas maskuline, muskulöse, fordernde 1961 Trotanoy, der sich so unglaublich druckvoll und lang präsentierte, einfach riesengroß und perfekt – WT100. Und dann war da dieser einmalige 1961 Lafleur. Ganze 3000 Flaschen wurden davon produziert, wovon höchstens noch ein paar Dutzend – wenn überhaupt – existieren. Und da dies einer der meistgesuchten Weine des Weltmarktes ist, gehört er auch zu den meistgefälschten. Ich hätte nicht im Traum damit gerechnet, dass ich den noch mal in echt ins Glas bekomme. Und jetzt stand er vor mir. Da stellte sich massive Glückseeligkeit ein. Woher ich weiß, dass der echt war? The proof is in the bottle. Das war Lafleur wie er leibt und lebt. Ein unglaublich konzentriertes Tier von Wein mit Kraft ohne Ende. Kein süßer Schmusepomerol, das war ein Monument und Unikat zugleich, so irre dicht und druckvoll mit der klassischen, leicht lakritzigen Kräutermischung und ganz feiner Süße am Gaumen und ewiger Länge. Da spielt die Musik sicher noch 30-50 Jahre – WT100. Eine wunderbar schmelzige Traumnase hatte der 1961 Vieux Chateau Certan. Am Gaumen war er reif, weich, so herrlich aromatisch mit schokoladiger Fülle und schon fast burgundischen Konturen, tolle Länge – WT98. Und was stzt man, wenn man Robert heißt, als Piraten in solch einen Hammerflight? Natürlich einen Hammer-Piraten. 1968 Heitz Martha´s Vineyard zeigte sich noch so jung und druckvoll, einfach Martha in Perfektion, so minzig in der Nase mit reichlich Eukalyptus, mit wunderbarer Frucht und Frische, auch am Gaumen kommt da einfach nur freude auf, dazu Kraft und Länge ohne Ende. Für mich als bekennenden Martha-Fan war das wie Weihnachten, einfach riesengroß und Trinkspaß auf allerhöchstem Niveau – WT100.

Zusammengerechnet macht das bei diesem Flight 498 Punkte von 500 theoretisch möglichen. Der helle Wahnsinn. Da lässt sich zwischendurch auch mal eine nicht so gute Flasche verschmerzen. Das war einfach irre, was der Robert hier bot. Kein Wunder, dass am Tisch eine prächtige Stimmung herrschte.

Der letzte Flight. Würde der mit können? Niemand wusste, was der liebe Robert sich da vielleicht noch als absoluten Oberhammer ausgedacht hatte, zumindest so lange nicht, bis die Nase ins letzte Glas tauchte. Aber fangen wir vorne an. So ein wunderbarer Wein wie dieser herrliche 1961 Palmer mit seiner betörenden Nase, dieser seidigen Eleganz, dieser generösen Süße und dieser burgundischen Pracht und Fülle wäre in jeder anderen Probe der Höhepunkt des Abends, was für ein Wein, Cashmere für Gaumen und Seele – WT97. Aber dann steht hier daneben dieser außerirdische 1961 La Mission Haut Brion, und das auch noch aus einer perfekten Magnum. Das war La Mission, Pessac und Cigarbox in Perfektion, ein Wein, der in seiner überragenden Qualität und seiner Jugend einfach nur sprachlos machte – WT100. Mir gingen langsam die Superlative aus. Da war es schon fast eine Erhohlung, dass mal zwischendurch ein Wein nicht wie vom anderen Stern war. Der 1961 Petrus in einer nicht näher definierten Händlerabfüllung konnte hier im Konzert der großen nicht mitspielen. Das war entweder eine schlechte Flasche, oder es war nicht drin, was drauf stand. Dafür brillierte der ultrarare 1961 Latour-à-Pomerol in einer belgischen Abfüllung von Lafite-Bruxelles, den man nur noch ganz selten in echt findet. Aber der hier war so etwas von echt und dabei so verdammt gut mit einfach nur geiler, süßer Frucht. Wie ein großer Candystore für Erwachsene mit zusätzlicher Trüffel- und Portweinabteilung. Genießen, staunen, träumen – WT100. Und das letzte Glas? Das war jetzt der absolute Overkill. Ein Wein, der jede Bewertungsskala sprengt. Dreimal durfte ich in meinem langen Weintrinkerleben diesen 1961 Hermitage la Chapelle von Jaboulet-Aine trinken, zuletzt 2001 im Comme Chez Soi in Brüssel. Ich habe nicht damit gerechnet, dass dieser irre Wein noch jemals in meinem Glas landen würde. Bei € 12.000 fängt die günstgste Flasche auf Winesearcher an, nach oben keine Grenzen. Und dann muss man noch hoffen, dass der Wein echt ist, so wie diese Flasche hier. Einfach nur irre! Wie sich so etwas trinkt, so ein tiefdunkler Wein, der die ewige Jugend gepachtet zu haben scheint? Vereinfacht gesagt wie ein 1990 Hermitage La Chapelle, der ja auch ein WT100 Wein ist, aber mit doppeltem Turbolader. Der hat einfach alles von allem, und dann von allem noch mal reichlich mehr. Unbeschreiblich. Höchste Glücksgefühle.

Ein großes Käsebrett hatte unser Gastgeber als Abschluss des großartigen Königshof Menüs noch für uns vorgesehen und dazu einen Schluck Portein. Einen Schluck Portwein? Ja, aber nicht irgendeinen. Da stand jetzt schon wieder eine Legende, der 1963 Quinta do Noval Nacional Vintage Port. Hatte ich noch nie im Glas. Setzt sicher für Port Maßstäbe. Der hat eine derart explosive Aromatik, als ob am Gaumen ein Vulkan ausbricht. Natürlich ist da intensive Süße, irre Frucht, wahnsinniger Kraft und Länge. Aber alles so unglaublich stimmig und balanciert, ohne jedes alkoholische oder spritige. Klare WT100 ohne wenn und aber und ein absoluter Hochgenuss. Wie schön, dass der ein oder andere Gast inzwischen schwächelte. Da konnte ich mir von diesem Zaubertrank noch ein weiteres, schönes Glas genehmigen. Das habe ich dann still in tiefer Dankbarkeit auf Robert getrunken. Möge er noch lange leben. Und natürlich noch viele solch schöner Proben machen.