California Wine Monuments

Mit Flugzeug und Zug mal eben nach Luzern für eine Weinprobe? Ja, das musste einfach sein. Schlichtweg spektakulär war diese unwiederbringbare Probe, in der uns Eugen Haefliger in Luzern mit großartigen, kalifornischen Raritäten aus der Zeit von 1941 bis 1987 verwöhnte.

Mit dem legendären Paris Tasting 1976 erschien Kalifornien plötzlich auf der Welt-Weinbühne. Doch große Weine, von denen allerdings international niemand Notiz nahm, gab es in Kalifornien schon lange vorher. Schon mal eine Kalifornier aus 1941 getrunken? Damit begann dieses Tasting. Der erste Wein im ersten Flight dieser Probe war ein 1941 Casa di Sonoma, 1947 abgefüllt auf dem Weingut El Gavilan und 1982 bei Sebastiani neu verkorkt. Dieser Wein stammt von Weinbergen in Sonoma, die seinerzeit Sebastiani gehörten. August Sebastiani wählte den Namen Casa de Sonoma, weil so sein damaliges Haus hieß. Sehr reif wirkte dieser Wein, auch in der bräunlichen Farbe, in der Nase balsamisch, auch Kaffee, Maroni und altes Leder, am Gaumen wie ein alter, reifer Bordeaux aus der damaligen Zeit wirkend mit etwas spitzer Säure, aber immer noch intakt und gut trinkbar – WT87. Mit voll akzetablen ‚ts’ war dieser Wein der mit dem schlechtesten Füllstand der Probe. Alle anderen Weine lagen zwische ‚bn’ und meist sogar ‚in’. So auch dieser schier unglaubliche 1951 Beaulieu Vineyard Private Reserve Georges de Latour. Der war noch so frisch, so voll da. Feine, sehr elegante, finessige Minznase, was sich am Gaumen fortsetzte, wo zur Minze noch Leder und eine gute Mineralität kamen. Ein absolut stimmiger, harmonischer, großer Wein – WT97. Schon etwasgezehrt mit hoher Säure kam der 1959 Inglenook Cabernet Sauvignon Cask F9 ins Glas. Baute gut im Glas aus, entwickelte feine Süße und wurde komplexer und länger. Klar galt hier „Gaumen schlägt Nase“ – WT90. In hervorragendem Zustand zeigte sich der 1968 Heitz Martha´s Vineyard, der einfach nicht altern will. Sehr minzig, wenig Eukalyptus, enormer, aromatischer Druck am Gaumen und gewaltige Länge, dabei so stimmig und einfach perfekt – WT99. Für diese 99 Punkte, die da in meinen Notizen stehen, muss ich mich wohl sebst nachträglich als geizig bezeichnen. Der vielleich rarste Wein der Probe war ein 1969 Chappellet Cabernet Sauvignon, der damals von Philipp Togni als verantwortlichem Winemaker produziert wurde. Nur zwei Flaschen gibt es davon noch auf dem Gut. Im freien Handel, soweit überhaut findbar, gibt es diesen Wein nicht unter $ 4.500. Der war noch so taufrisch in der minzigen Nase und am fülligen Gaumen, dass er auch locker als 20 Jahre jünger durchging. Durch das noch voll intakte Tanningerüst wirkte er kernig (Togni ließ grüßen), sehr fein die Mouton-typische Bleistift-Mineralität, dazu viel Tabak und einfach irre die Farbe. Hatte sowohl etwas von einem La Mission als auch von einem Chambertin, ein wohl einmaliges Erlebnis – WT98.

Einfach überwältigt waren wir von diesem ersten Flight. Aber es sollte so weitergehen.

Paul Drapers Lieblingswein ist dieser 1970 Ridge Monte Bello. Ein unsterblicher, riesengroßer Ridge mit wunderbarer Frucht, die sich auch am Gaumen fortsetzte, enorm kräftig und dabei wiederum so elegant und stimmig – WT97. Etwas über den Zenit wirkte zu Anfang der 1974 Mount Eden Vineyards Estate Bottled Cabernet Sauvignon, Minze mit Liebstöckel, aber auch etwas Süße. Entwickelte sich im Glas, wurde gefälliger und die Minze verdrängte Liebstöckel – WT92. Erstaunlich frisch und vital noch der 1974 Sterling Reserve Cabernet Sauvignon, beste Bordeaux Stilistik mit Minze, Mineralität und Sattelleder, sehr finessig und lang – WT95. Baschi Schwander, der diese Probe wieder perfekt vorbereitete und managte, brachte es auf den Punkt: „Ein Gruaud aus Napa“. Und dann dieser einmalige 1974 Heitz Martha´s Vineyard, der aus dieser Flasche noch soviel Frische zeigte mit dieser einmaligen Mischung aus Euklyptus und Minze, dazu mit geradezu spielerischer Eleganz und traumhafter Länge – WT99. Ich habe diesen weltweit gesuchten Wein leider in den letzten Jahren auch aus Flaschen erlebt, aus denen er etwas müder war. Aber hier, aus dieser Flasche, gab es heute eine klare Ansage zu seinem kräftigeren, jüngeren Rivalen aus 1975: „Ich weiß, dass Du mir auf den Fersen bist und mich eines Tages schlägst, aber nicht hier und nicht heute“. Smart Money jagd heute nicht mehr dem 74er hinterher, denn soviel Flaschenglück wie hier bei Eugen oder zwei Wochen vorher bei Jürg Richter auf seiner Magnum-Probe ist inzwischen verdammt selten. Smart Money sucht den noch so jungen, unglaublich druckvollen 1975 Heitz Martha´s Vineyard mit seiner explosiven, auch hier jetzt wieder faszinierenden Aromatik noch eine gewaltige Zukunft hat – WT98.

Minzig, sehr mineralisch, kernig und kräftig mit guter Säure der 1976 Diamond Creek Gravelly Meadow Cabernet Sauvignon, über den mit puristischer, aber auch etwas stahliger Frucht, Schwarze Johannisbeere, ein Hauch von Dunn wehte – WT93. Schon sehr weit in der Nase mit etwas Liebstöckel der 1978 Mayacamas Cabernet Sauvignon, am Gaumen weich, reif mit feiner Süße, deutlich besser als in der Nase und immer mehr ausbauend – WT93. Altersfrei und einfach voll da dagegen der 1978 Chateau Montelena Estate Cabernt Sauvignon mit Cassis pur, viel Minze und etwas Zedernholz, am Gaumen druckvoll und kräftig, sehr stimmig und immer noch viel Zukunft – WT96. Geht das, ein Schmuse-Heitz-Martha´s, oder täuscht das nur? Der 1978 Heitz Martha´s Vineyard wirkte frisch, minzig, erstaunlich elegant und fein, cremig und schmeichelnd. Aber unter all dieser Schmusewolle verbirgt sich ein Tier von Wein mit irrer Kraft und Potential, das noch auf seinen richtigen Einsatz wartet – WT97+. Keine Ahnung, warum ich diesem so unglaublich guten 1978 Shafer Cabernet Sauvignon keine WT100 gegeben habe. Der war noch so jung, so voll da, so stoffig mit wunderbarer, dunkelbeeriger Frucht und feiner Süße, trotz aller Kraft so harmonisch und stimmig – WT98. Unser Gaumen hatte sich wohl schnell an das irre Niveau dieser Weine gewöhnt, nahm das sensationelle als das normale hin. Da holte uns dann der Tischwein in die Realität zurück. Der 1978 Villa Mount Eden aus der Magnum war ein schöner, gut trinkbarer Wein, ganz nett, reif, weich, gefällig. Aber mehr als WT86 kamen da nicht ins Glas, vor allem nicht im Vergleich zu den Boliden, die wir vorher hatten.

Im nächsten Flight wäre dann eigentlich der 1985 Heitz Martha´s Vineyard gewesen, aber der längte trotz stundenlanger Belüftung seine zweifelhafte Armatik stinkiger, 4 Wochen ohne Unterlass getragener Wandersocken nicht ab. Dieser Wein, der mit hochwertigem Lesegut geerntet wurde, traf im Weingut auf den Starrsinn und Altersgeiz von Joe Heitz, der partout keine neuen Fässer kaufen wollte. So gab es dann reichlich TCA statt Trinkfreude. Ausgetrunken haben das Glas dieses trotzdem zusätzlich ausgeschenkten Weines wenn überhaupt, dann ausschließlich Masochisten.Und wenn Sie von sehr guten 85er Martha´s hören – die gibt es tatsächlich. Ich hatte auch schon welche. Es waren wohl nicht alle Fässer so schlecht. Wer Russisch-Weinroulette spielen möchte, kauft eine 12er Kiste und hat vielleicht 1-2mal Glück.

Trinkfreude pur im Glas bei 1978 Caymus Special Selection. Süchtig machende Nase, schlichtweg traumhafte, rotbeerige Frucht mit etwas Eukalyptus und Minze, am druckvollen Gaumen generöser, feiner Schmelz, einfach Hedonismus pur und immer noch gute Zukunft - WT97. Da kam der für den Heitz eingesprungene 1985 Caymus Special Selection (den ich besser kene) einfach nicht mit. Auch hier diese einfach geile, Caymus-typische Frucht junger Reben, aber es fehlte auf hohem Niveau einfach der Druck – WT95. Sehr viel Frische und Potential zeigte der 1985 Mayacamas Cabernet Sauvignon, der mit toller Frucht und perfekter Struktur am Gaumen sehr cremig wirkte – WT95. Sehr schön trank sich auch der nicht sonderlich komplexe 1985 Mount Eden Estate Cabernet Sauvignon, der gute Frucht und Struktur zeigte und in erster Reife eine feine, karamellige Süße entwickelte – WT92. Noch so jung, kernig und kräftig mit wunderbarer Kirschfrucht der 1984 Ridge Monte Bello mit einer Struktur und Stilistik, die an gute Latours erinnerte. Die 12,5% Alkohol konnte man bei dieser aromatischen Fülle kaum glauben – WT95+. Da werde ich noch mal auf die Suche gehen.

Deutlich besser kenne ich den schon häufig getrunkenen 1986 Montelena Estate Cabernet Sauvignon. Zuletzt erst vor ein paar Wochen war das im Vergleich zum 87er des Gutes auf sehr hohem Niveau der jüngere, druckvollere Wein mit präziser Struktur, glockenklarer Frucht und immer noch präsenten Tanninen (WT96 gegenüber WT95 für den 87er). Aus unserer Flasche hier in dieser Probe war er deutlich zu reif und wirkte über den Zenit. Er wurde zwar mit viel Luft etwas besser und kämpfte sich stückweit zurück, aber für mehr als WT91 reichte es nicht. Sehr jung wirkte immer noch der ultrarare 1987 Diamond Creek Lake Cabernet Sauvignon aus dieser nur 0,3ha großen Miniparzelle. Jung und streng zugleich mit puristischer Frucht und sehr präziser Struktur – WT96. Noch weit von der Reife entfernt der sehr konzentrierte 1987 Heitz Martha´s Vineyard mit dunkler Frucht, viel Minze, Eukalyptus, guter Mineralität und Kraft ohne Ende, so lang am Gaumen – WT95+. Dem würde ich noch mal 5-10 Jahre geben, auch wenn es schwerfällt. Schwierig tat sich zu Anfang der 1987 Mondavi Reserve, bei dem es wohl viel Flaschenvariation gibt. Jodig und etwas zugeknöpft mit viel Säure kam er ins Glas. Aber dann wollte er doch mitspielen, öffnete sich, schob die feine, beerige Frucht in den Vordergrund und wurde generöser und schmelziger – WT94.

Was für eine Probe! Mit einem zufriedenen Lächeln (oder war es ein breites Grinsen?) bin ich anschließend in den Zug Richtung Flughafen gestiegen und zurückgeflogen. Ging alles schnell und reibungslos.

Und unserem Gastgeber wünsche ich Gesundheit und ein langes Leben. Möge der liebe Eugen steinalt werden und noch unzählige dieser großartigen Kalifornien-Proben machen. Und das bitte möglichst oft mit mir.