Flaschenglück und Flaschenpech

Ins Dado im Innside Hotel am Seestern hatte Uwe Bende zu einer Raritätenprobe geladen. Hier boten sich perfekte Proben-Voraussetzungen. Eine große Tafel mit viel Platz in einem für uns abgeteilten Raum, geräuschloser, sehr effizienter Service, Gabriel Gläser(!) und ein schlichtweg grandioses Menü, bei dem Yves Deval-Block mal wieder zeigte, dass er ein wahrer Meister seines Fachs ist.

Als Apero servierte uns Uwe einen 2003 Doosberg 2 Trauben L von Peter Jacob Kühn aus der Magnum. Der wirkte sehr weich und füllig, dabei etwas diffus und nicht nur in der Nase, sondern auch am Gaumen irritierend süß – WT87.

Gerade vermeintlich kleinere Weine sind aus älteren Jahrgängen oft für eine Überraschung gut. Das zeigte deutlich ein 1949 Lafon-Rochet aus St. Estephe. Der hatte eine betörend generöse, tabakige Nase und war auch am Gaumen sehr vital mit feiner Süße und guter, balancierender Säure – WT91. Oxidiert und kaputt war leider der 1949 Ducru Beaucaillou in einer deutschen Händlerabfüllung. Ein wunderbar gereifter, schokoladiger Pomerol war der 1955 Domaine de l´Eglise mit immer noch genügend Tanninen für eine längere Entwicklung – WT93. Eher auf der feinen, eleganten Seite und war der schmeichlerische 1955 Canon-la-Gaffelière – WT90.

Daneben war leider 1959 Troplong Mondot. Das war schade, denn in guten Flaschen ist ein immer noch so junger, kräftiger Wein mit genügend Substanz für eine längere Entwicklung. Deutlich besser kenne ich den 1949 Carbonnieux. Aus dieser Flasche hier war das ein in Ehren gereifter, kleiner Wein ohne Alterstöne, aber etwas unscheinbar – WT87. Hell die Farbe des 1948 Cos d´Estournel mit deutlichem Wasserrand, sehr jodig die Nase, am Gaumen feine Mineralität und dezente Süße – WT92. Die sehr dichte, dunkle Farbe des 1948 Leoville las Cases zeigte, dass der sicher eine Suche wert ist. Schließlich hat ja nicht jede Flasche solch einen üblen Kork wie diese hier.

Schlecht gelagert war wohl der 1947 Haut Brion. Sehr dicht die Farbe, aber oxidative Noten, Nagellack, Möbelpolitor, verdarben den sonst sicher möglichen Spaß. Eleganz pur und Margaux in Reinkultur der 1947 Margaux in einer perfekten Vandermeulen-Abfüllung. Vielleicht fehlte etwas der frühere Druck, aber auch 47er leben halt nicht ewig. Solange sie sich aber auf solch hohem Niveau präsentieren, sind weder Eile noch Jammern angesagt – WT98. War der 1950 Cheval Blanc mit seiner superdichten Farbe aus einer perfekten Chateauabfüllung noch zu jung? Nur im Schneckentempo öffnete sich dieser hochkonzentrierte Power-Cheval – WT97. Voll da hingegen und auf dem Punkt der 1953 Cheval Blanc in einer belgischen Händlerabfüllung, Traumnase und seidige Eleganz gepaart mit feiner Süße am Gaumen – WT98.

Flaschenglück hatten wir bei 1952 La Mission Haut Brion in einer belgischen Abfüllung von Nony, der sich in einfach bestechender Form zeigte. Noch so jung in der gesamten Anmutung, die klassische, mineralische Pessac-Nase mit reichlich Cigarbox, auch am Gaumen Teer, Tabak, Cigarbox und Minze, enorme Kraft und Länge – WT98. Flaschenpech dagegen beim 1955 Haut Brion, der leider hin war. Große Diskussionen gab es bei 1959 La Mission Haut Brion und 1961 La Mission Haut Brion, beide in belgischen Nony Abfüllungen. Waren die echt? Der 59er wirkte offen, reif, süß, aber auch etwas laktisch am Gaumen und erinnerte an überlagerten Yoghurt – WT93. Der 61er war auf dem Punkt, so süß, so schmelzig, aber auch mineralisch mit Teer und Tabak. Egal ob der echt war oder nicht, was ich eigentlich nicht so sehr in Zweifel ziehe, in jedem Falle war er „echt gut“ – WT98.

Als Solitär kam dann aus Wineterminators Keller der atemberaubende, unglaublich komplexe, druckvolle und immer noch so vitale, jung wirkende 1947 Chambertin Vandermeulen ins Glas. Auch aus dieser perfekten Flasche (2,5 cm Schwund), die seit 25 Jahren in meinem Keller lag, setzt er mal wieder Maßstäbe und machte sprachlos. Wein, egal von wo oder wem geht nicht größer. Und mehr als WT100 geht leider auch nicht. Schade, diese „Mutter aller Weine“ hätte mehr verdient.

Voll daneben lagen wir leider bei 1961 Lafleur in belgischer Abfüllung. Der hatte mit Lafleur nichts zu tun, mit dem großen 61er schon überhaupt nicht. Das war ein harmloser, durchaus leckerer, süßer Wein ohne viel Struktur mit junger Farbe. Erinnerte mich fatal an den vermeintlichen 61er, den ich bei der großen Lafleurprobe am Attersee im Glas hatte. Der Fairness halber sei gesagt, dass Uwe Bende vor der Probe klar daraufhin gewiesen hatte, dass sowohl der 61er Lafleur als auch die La Missions Risikoflaschen waren, deren Echtheit er nicht garantieren könne. Letztlich schlug sich das auch in der sehr fairen Kalkulation der Probe nieder. Wie gut, dass die Fälscher dieser Welt sich noch nicht für Nenins interessieren. Alte Nenins sind eine – noch dazu bezahlbare – Bank, so auch dieser 1955 Nenin, der bei insgesamt noch recht junger Farbe mit feinem Schokoschmelz, aber auch guter Struktur und Säure überzeugte – WT94. Laktisch und oxidiert leider der 1953 Vieux Certan, den ich dramatisch besser kenne. Und gleich daneben noch eine Pleite. Der 1952 l´Evangile hatte eine vielversprechende, junge Farbe, aber leider Kork. Uwe Bende, der einem an diesem Abend mit seinem unverschuldeten Künstlerpech wirklich leid tun konnte, zauberte schnell noch einen, für diese Probe eigentlich nicht vorgesehenen 1959 Angelus in perfekter Chateauabfüllung aus dem Ärmel. Ein maskuliner, kräftiger, junger Wein mit sehr guter Struktur und der strammen 59er Säure, die diesem Wein noch ein längeres Leben bescheren dürfte – WT94.

Zu den besseren und in guten Flaschen wie dieser immer noch überzeugenden Wein des Jahrgangs gehört die 1979 Pichon Comtesse, die hier aus der Magnum noch keinerlei Alter zeigte, ein sehr eleganter, aber auch nachhaltiger Wein mit viel Zedernholz und leichter Trüffelnote – WT93. Der 1986 l´Arrosée aus der Magnum, dagegen, sonst ein sehr zuverlässiger Wein auf WT94 Niveau, sang nicht richtig.

Voll zur Sache ging es dann zum Schluss noch mit einem Flight großer, junger Weine. Wobei, was heißt eigentlich jung? Die drei Kandidaten hier, die ein unglaubliches Standvermögen zeigten, waren zwischen 24 und 31 Jahre alt – und eigentlich noch zu jung! Höchste Eisenbahn also, sich die Legenden von morgen heute noch in den Keller zu legen. Mit gerade mal 89 Punkten hat Parker den 1989 Latour abgewatscht und hielt ihn noch dazu vor längeren Jahren schon für reif. Dabei ist das ein derartig dichtes, konzentriertes, junges und zupackendes Powerteil, da ist noch Musik für Jahrzehnte drin. Mich erinnert dieser großartige Latour, der noch etliche Jahre bis zur endgültigen Reife braucht, immer wieder an 59 Latour – WT94+. Zu den verkannten Genies gehört auch 1988 Mouton Rothschild, der aus dieser Flasche hier erstaunlich viel zeigte und mit der Mouton-typischen, verführerischen Röstaromatik glänzte – WT97. Unglaublich verschlossen aus dieser wohl sehr kühl gelagerten Flasche 1982 Gruaud Larose, der nur zögerlich andeutete, dass er der legitime Nachfolger des legendären 61ers ist – WT94+.

Natürlich wurde am Tisch mehr über das Flaschenpech diskutiert als über das Flaschenglück. Aber eigentlich war es insgesamt keine schlechte Ausbeute in dieser an Höhepunkten sicher nicht armen Probe.